Das Gelände der Heeresversuchsanstalt Kummersdorf – auch Heeresversuchsstelle Kummersdorf genannt – blickt auf eine facettenreichen und nunmehr 140 jährige Geschichte zurück. Vom einstigen kaiserlichen Artillerieschießplatz, Areal zur Erprobung von neuen und geheimen Waffen im Dritten Reich zum logistischen Umschlagplatz der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland und vergessene Alternative für den Berliner Hauptstadtflughafen.

Als die Artilleriewaffen im ausgehenden 19. Jahrhundert immer größere Reichweiten erreichten, musste eine Alternative für den Schießplatz der Artillerieprüfungskommission in Berlin Tegel gefunden werden. Das Areal des heutigen Flughafen Tegel genügte nicht mehr den Erfordernissen der Geschütze der Zeit und war zu nah an Berlin. So entstand ab 1874 im brandenburgischen Staatsforst bei Kummersdorf ein moderner Artillerieschießplatz mit Kasernenkomplex, Laboratorien, Mess- und Beschusseinrichtungen sowie einem eigenen Bahnanschluss.

Bis zum Ende des ersten Weltkrieg wurden in Kummersdorf vorrangig Geschütze, Munition und Ausrüstung erprobt und die Heeresmotorsisierung stetig weiterentwickelt. Nach dem Krieg wurde die Abgeschiedenheit in den märkischen Wäldern genutzt um an hochmodernen Technologien aus den Bereichen Transport- und Kraftfahrwesen, chemische Forschung, Panzerwaffen, Munitionserprobung bis hin zur Raketentechnik und den ersten Gehversuchen der deutschen Nuklearforschung in der Versuchsstelle Gottow.

Bereits Wernher von Braun forschte in der Heeresversuchsstelle Kummersdorf an seinen Raketenantrieben. Für die Reichswehr waren Raketen als Waffenträger sehr interessant, da diese Waffentechnologie, anders als bspw. schwere Artillerie, nicht zu den Abrüstungsauflagen des Versailler Vertrags gehörten. Das Heereswaffenamt (HWA) unterstützte daher die jungen Entwickler mit finanziellen Zuwendungen und stellte ab 1932 neue Labor- und Forschungseinrichtungen in der Nähe des Schießplatzes Kummersdorf zur Verfügung.

Als Grundlage für von Brauns Promotion im Jahr 1934 an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin (Titel: „Konstruktive, theoretische und experimentelle Beiträge zu dem Problem der Flüssigkeitsrakete“)  dienten die zahlreichen Versuche in Kummersdorf. Die ersten Testläufe der Aggregate 1 und 2 erfolgten auf den Raketen-Prüfständen in Kummersdorf.

Nachdem die Aggregate erfolgreich getestet waren, sollten auch die ersten Startversuche folgen. Für sichere Raketentestflüge war das Areal der Heeresversuchsstelle Kummersdorf aber zu klein und die Umgebung zu dicht besiedelt. Nach ersten Startversuchen der Raketen „Max“ und „Moritz“ auf Borkum, fand man schließlich das ideale Test- und Forschungsgelände in Peenemünde auf Usedom, wo ab 1936 die Heeresversuchsanstalt-Ost entstand und schließlich die weltweit erste Fernrakete, das Aggregat 4 bzw. die V2 Rakete, sich in den Himmel über Europa erhob.

Die Heeresversuchsanstalt-West in Kummersdorf-Gut bestand aus mehreren Versuchs- und Prüfeinrichtungen für unterschiedlichste Aufgaben und zwei Schießbahnen. Die Schießbahn West hatte eine Länge von 7500m, wurde 1917 in Betrieb genommen und vokalem für das testen von kleineren Artillerie-Kalibern und Infanteriematerial verwendet. Die Schießbahn Ost gab es bereits seit 1880 und sie hatte eine maximale Länge von 12.959 m. Weiterhin verfügte Kummersdorf über ein Versuchsgelände für Panzer und Kraftfahrzeuge. Es ist davon auszugehen, dass die gesamte deutsche Panzerwaffe intensiv auf ihre Fronttauglichkeit in Kummersdorf getestet wurde.

Am 21. April erreichte eine erste Vorausabteilung der Roten Armee das Gelände von Kummersdorf und überrannte die Batteriestellung einer verteidigenden Einheit des Volkssturms. Mehr als 1100 Gefallene, davon 300 unbekannte Soldaten, wurden in den letzten Apriltagen 1945 auf dem Friedhof Kummersdorf-Gut bestattet. Die hohe Anzahl an gefallenen Soldaten begründet sich auch durch den Ausbruch deutscher Einheiten aus dem nahe gelegenen Kessel von Halbe und die daraus resultierende Verlagerung der heftigen Kämpfe auf das Gelände der Heeresversuchsanstalt.

Ab 1945 übernahm die Sowjetarmee das riesige Areal und nutzte es, bis zum Truppenabzug 1994,  als Ausbildungsstätte für Logistik (Kummersdorf-Gut) bzw. im nördlichen Teil als Militärflugplatz (Sperenberg). So waren in den alten Kasernenanlagen von Kummersdorf-Gut u.a. die 64. mot. Brigade, das. 1. – 4. mot. Transportbataillon, Instandsetzungsbataillone, Tankbataillone, Nachrichtenzüge und die 1240. sst. Garde-Fla-Raketenabteilung untergebracht.

Der Flughafen Sperenberg wurde ab 1958 neu errichtet, nachdem es in Berlin-Schönefeld zu eng wurde und dieser Flughafen nur noch ausschließlich für die zivile Luftfahrt der DDR genutzt werden sollte. Sperenberg galt für die sowjetischen Soldaten als als Tor zur Heimat, denn täglich fanden Post-, Kurier- und Verbindungflüge zu verschiedenen Moskauer Militärflugplätzen statt. Während des Abzugs der russischen Streitkräfte diente Sperenberg als Hauptbasis und wurde täglich von großen Transportflugzeugen der Typen  IL-76, An-22 und An-124 angeflogen. Anfang September 1994 hob der letzte Transportflug russischer Streitkräfte  ab und ein weiteres Kapitel deutscher Geschichte wurde geschlossen.

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Für kurze Zeit rückte das Gelände nach dem Abzug der russischen Truppen nochmals in den Fokus der Öffentlichkeit, denn Kummersdorf bzw. der Flughafen Sperenberg galt bis 1995 als potentieller Standort für den neuen Hauptstadtflughafen BER. Nachdem aber die Bürger 1996 gegen eine Länderfusion Berlin/Brandenburg stimmten, die Berliner somit ihren Flugplatz samt umliegenden Betrieben und Arbeitsplätzen in ihrer Stadt bevorzugten und sich die Politik endgültig für den Standort Schönefeld entschied, begann die Natur mit ihrem Eroberungsfeldzug in Kummersdorf.

Kummersdorf befindet sich ca. 40 km südlich von Berlin und ist mit dem Auto gut über die B96 oder B101 zu erreichen. Das Gelände selbst sollte nur im Rahmen einer Führung des örtlichen Museumsvereins betreten werden, da einige Flächen bis heute von Altlasten und Munitionsrückständen stark belastet sind. Bei diesen offiziellen Führungen kann auch der ehem. Flugplatz Sperenberg besichtigt werden. Aktuelle Termine für die regelmäßig stattfindenden Führungen sind auf der Webseite des Museum Kummersdorf zu finden oder unter Tel.: 033703-77048 zu erfragen. Die Ausstellung im Museum kann derzeit nur Sonntag von 13- 17 Uhr besucht werden.

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Weitere Impressionen aus Kummersdorf:

Weiterführende Quellen:

[1] Informationen zu den Geheimdissertationen in Kummersdorf (Abruf 12.09.2014)

[2] Kaule, M. (2012): Brandenburg 1933 – 1945 Der historische Reiseführer, 1. Auflage, Berlin 2012

[3] Historie und Beschreibung der Gesamtanlage Kummersdorf (Abruf 13.09.2014)

[4] Museum in der Natur Dokumentations- und Forschungszentrum Kummersdorf-Gut (Abruf 12.09.2014)

[5] Flugplatz Sperenberg bei Wikipedia (Abruf 13.09.2014)

[6] Artikel der Morgenpost zur Nutzung des Flughafen Sperenberg als Hauptstadtflughafen (Abruf 13.09.2014)

[7] Struktur der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GGSD)/Westgruppe der Truppen (WGT) um 1989 (Abruf 13.09.2014)

[8] Museum Kummersdorf (Abruf 13.09.2014)

Patrick
Ich berichte hier in unregelmäßigen Abständen über vergessene Orte im wunderschönen Brandenburg. Kommentare, Feedback und Anregungen freuen mich immer.

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